Erprobungsstelle der deutschen Luftwaffe
Von den Anfängen bis zur größten Erprobungsstelle der Deutschen Luftwaffe
1916-1918
Nachdem die Notwendigkeit zur Errichtung einer zentralen Erprobungsstelle für Flugzeuge und Ausrüstung der Fliegergruppe schon im ersten Weltkrieg erkannt worden war, begann in Rechlin an der Müritz 1916 der Aufbau einer solchen Dienststelle. Als Grundstein für die Errichtung der Erprobungsstelle gilt das bisher älteste Dokument, ein Schreiben des Deutschen Kriegsministeriums vom 29. November 1916 an das Großherzogliche Ministerium des Innern in Schwerin, worin in einer Voranfrage die Absicht der Heeresverwaltung zur Errichtung von flugtechnischen Anlagen am Müritzsee die Rede ist. Es folgten Enteignungsverhandlungen im Sommer 1917 auf einem Areal von ca. 1400ha. Aufgrund der Kriegsverhältnisse verging noch über ein Jahr bis zur Eröffnung der Flieger-Versuchs- und Lehranstalt am 29. August 1918 durch den Großherzog Friedrich-Franz von Mecklenburg-Schwerin. Damaliger Kommandant der „Flughäfen Müritzsee“ war Hauptmann August Joly. Die Versuchsanstalt umfasste zu diesem Zeitpunkt bereits eine „Flugzeugabteilung Rechlin“, eine „Motorenabteilung Roggentin“ und eine „Flieger-Funker-Versuchsabteilung Lärz“. Auf dem Sprottschen Berg als höchste Erhebung am Müritzsee wurde zur Einweihung ein Aussichtspunkt errichtet, von dem aus dem Landesherrn alle drei zugehörigen Flugplätze erläutert werden konnten. Schon Anfang September 1918 waren die Pläne zur Errichtung der ersten Eisenbeton-Flugzeughallten fertiggestellt, zu deren Errichtung es aber aufgrund des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 und Inkrafttreten des Versailler Vertrages nicht mehr kam. Der Vertrag von Versailles mit seinem Verbot jeglicher Fliegerei in Deutschland ließ für eine zentrale Flieger-Versuchs- und Lehranstalt keine Zukunft möglich erscheinen. Bereits bestehende flugtechnische aber auch Eisenbahnanlagen wurden demontiert und ländliche Stille kehrte wieder an der Müritz ein.
1922 – 1933
Erst mit der Unterzeichnung des Vertrages von Rapallo am 16. April 1922 mit Russland und entsprechenden Zusatzvereinbarungen eröffnete sich für Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik wieder die Möglichkeit zur Erprobung von Flugzeugen im russischen Lipezk – ca. 380km südöstlich von Moskau. Ab 1925 unterhielt die Reichswehr das als „Fliegerschule Stahr“ getarnte Ausbildung- und Erprobungszentrum zur Entwicklung verbotener Flugzeuge und Waffensystem als auch Ausbildung von Piloten gemeinsam mit der russischen Armee. Parallel begannen die Planungen zur Wiederbelebung der Versuchsanstalt in Rechlin auf dem gleichen Areal wie 1918. Zunächst gründete sich der „Luftfahrverein Waren e.V.“ in Rechlin unter dem Deckmantel des Reiches. Es folgte die Errichtung einer 42x21m großen Flugzeughalle mit Werkstatt- und Wohngebäude – dem „Schweizer Haus“, das 1926 in Betrieb genommen wurde. 1929 wurde eine Wellblechhalle – die „Junkershalle“ fertiggestellt; 1933 folgte eine weitere größere. Schon 1930 begann die Planung eines Motorenprüfstandes in Rechlin, der dezentral von den bisherigen Gebäuden errichtet werden sollte. Als Standort war die Südoststrecke des Flugfeldes vorgesehen – die spätere Gruppe SÜD. Die Fertigstellung verzögerte sich jedoch bis 1933. Dennoch war damit der Grundstein für die spätere Erprobungsstelle gelegt.
1933-1945
Die neuen Machthaber des Deutschen Reiches gingen nach dem 30. Januar 1933 zügig daran, den Aufbau einer Luftwaffe und der dazugehörigen Luftfahrtindustrie fortzuführen. Bereits im März 1933 überzeugte sich der damalige Reichskommissar für die Luftfahrt – Hermann Göring – von den Baufortschritten bei einem Besuch der Erprobungsstelle in Rechlin. In Folge flossen Geldmittel in unvorstellbarem Umfang in den Aufbau. Bald waren vier in sich geschlossene Gebäudegruppen zu erkennen, die sich – jeweils zu 90° zueinander versetzt – nah um das fast runde Rollfeld gruppierten.
Diese Aufteilung in die Gruppen NORD, OST SÜD und WEST sollte bis Kriegsende das Bild der E-Stelle Rechlin prägen. Mit dem komplexen Aufbau und Erweiterung der einzelnen Gruppen der E- Stelle wurden diese durch eine Ringstraße und parallel dazu verlaufende Normalspurbahn am Rand des Flugfeldes verbunden. Diese bildete den Endpunkt einer Bahnstrecke von Mirow nach Rechlin- Ellerholz. Unmittelbar zur Gruppe Nord errichtete man einen Bahnhof der E-Stelle Rechlin mit zwei Bahnsteigen. In den jeweiligen Gruppen unterirdisch angelegt und miteinander durch Ringleitung verbunden wurden die einzelnen Mischtankanlagen für die Flugzeugbetankung und Motorenerprobung. Allein die Tankanlagen der Gruppe Süd fassten seiner Zeit über 150.000 Liter. In der Summe fasste die Haupttankanlage der E-Stelle 1943 ca. 800.000 Liter und weitere 1.3 Mio Liter in Ferntankanlagen.
Begonnen wurde in der – später so bezeichneten – Gruppe Nord mit dem Bau der bis dahin größten Halle (Halle 105) am Platz, die sich nördlich an die bestehende Junkershalle anschloss. Aufgrund des hohen Platzbedarfs wegen der Zunahme der Erprobungsflugzeuge wurde die Junkershalle später demontiert und am Westrand des Rollfeldes Roggentin wieder aufgebaut. An ihrer Stelle errichtete man eine weitere Großhalle und verband beide Hallen mit einem Bürotrakt, in der die Flugleitung und die Wetterwarte untergebracht wurden. Den Erweiterungen auf dem Gelände der Gruppe Nord für eine weitere Werfthalle musste auch das Schweizer Haus weichen, das den gestiegenen Anforderungen nicht mehr genügte.Es folgten Bürokomplexe und Werkstätten, dazu die Hauptwache, das Gebäude der Fliegerhorst Kommandantur und Erprobungsleitung, der Garagenhof, das Heizwerk, Lagerhallen und eine Notstromstation. Parallel begann man ab 1933 mit dem Bau der „Meistersiedlung“ in Rechlin Nord, die 1942 ihren endgültigen Ausbauzustand erreichte.
Zeitgleich mit der Erweiterung der Gruppe Nord nam einige hundert Meter östlich die sogenannte Gruppe OST Gestalt an. Sie war für die Unterbringung der Erprobungsabteilungen für Abwurfwaffen und Bordmunition vorgesehen und aus Gründen der Sicherheit von den restlichen Gebäuden am Nordrand abgetrennt. Noch weiter östlich richtete man eine Munitionsanstalt (Muna) ein; zwischen beiden den Bombenladeplatz. Zugehörig wurden neben erforderlichem Bürotrakt Werkstätten und Garagen für Feuerwehr und Hilfsfahrzeuge errichtet. Ab dem Sommer 1934 Stand die Gruppe OST für den Erprobungsbetrieb zur Verfügung. Ab 1936 erweiterte man die Anlage noch um ein zweistöckiges Bürogebäude, Waffen- und Bombenmeisterei und zwei parallel angeordnete Schießbahnen für in Flugzeuge eingebaute Bordwaffen, um diese zu justieren und einzuschießen. Gravierende Auswirkungen hatte die Erweiterung der E-Stelle mit Einrichtung von Bombenabwurfplätzen auf die Dörfer und Güter nördlich und östlich des Flugplatzes. Dünn besiedeltes und dicht bewaldetes Gebiet bot ideale Möglichkeiten der getarnten Bombenerprobung aufgrund des nach wie vor gültigen Vertrages von Versailles und Aufgabe bisheriger Erprobungen in Lipezk nach 1933. Zunächst wurden die Gutsarbeiterhäuser Rechlins freigezogen und am 15. April 1934 bei Bombenabwurfversuchen zerstört genauso wie später die Häuser des Dorfes Leppin und Gutes Roggentin. Weitere Areale östlich des Leppin-Sees wurden erschlossen und mit Attrappen für den Bombenabwurf bestückt. Diesen Erweiterungen fielen auch die Ortschaften Schillersdorf, Qualzow und Zartwitz zum Opfer, die ihre Häuser bis Ende 1935 verlassen mussten.
Auch der Ausbau der Gruppe Süd begann 1934 mit zunächst einem Motorenprüfstand, einer Flugzeughalle sowie Gebäuden für die Motorenwerkstatt und Brennstofflabor. Vier weitere Doppelprüfstände für die Erprobung von Flugmotoren unter Realbedingungen in großer Höhe folgten in sehr kurzer Zeit genauso wie ein Triebwerksprüfstand. Mit eigenem Heizwerk, Verwaltungsgebäuden und weiteren Prüfständen für flüssigkeitsgekühlte Motoren, Luftschrauben und Triebwerkszubehör waren diese Arbeiten bereits Ende 1936 abgeschlossen.
Mit ständiger Erweiterung der technischen Anlagen zur Erprobung bekam die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für die militärischen Dienststellen eine ebenso hohe Priorität. Hierfür wurde zunächst ein Kasernenkomplex im westlichen Bereich mit weiteren Flugzeughallen vorgesehen. Später folgten die Luftnachrichtenstelle, Offiziersunterkunft und 1934/35 ein weiterer Kasernenblock, Wirtschaftsgebäude, Krankenrevier, Kantine, Sporthalle mit Sportplatz sowie Garagenkomplexe für Fahrzeuge der Bergungsgruppe. In einem einstöckigen Hallenbau war die nach modernsten Gesichtspunkten ausgestattete Lehrwerkstatt der E-Stelle untergebracht, in der erfahrene Werkschullehrer, Meister und Facharbeiter sowie jährlich bis zu 30 Lehrlinge zu Drehern, Elektro- und Feinmechanikern, Metallflugzeugbauern und technischen Zeichnern ausgebildet wurden.
Die Erdarbeiten am Rollfeld zum Ausbau des Flugfeldes Lärz begannen im Frühjahr 1935, nachdem der Lärzer Kanal als Teil der Müritz-Elde-Wasserstraße und Ersatz für den Bolter Kanal mit Schleuse als Schifffahrtsweg und Umgehung der E-Stelle fertiggestellt war. Zunächst war auch dieser als Rasenflugplatz allerdings schon mit Drainage geplant. Aufgrund der Anforderungen durch die ständig zunehmenden Startgewichte und - geschwindigkeiten neuer Flugzeugmuster wurde die Ausführung aber später als Betonbahn ausgeführt. 1939 begann man mit der Errichtung der West-Ost-Landebahn, die kreuzende Nordwest-Südost-Landebahn folgte später. Im Gegensatz zu Rechlin unterhielt man in Lärz keine Erprobungsabteilungen; folglich war die Zahl der Gebäude bis auf wenige Flugzeughallen, Werkstätten, einige Baracken und Flugleitgebäude eher gering. 1944 begann man noch mit dem Bau eines großen Betonbunkers. Nach Aussagen von Zeitzeugen wurden allerdings die Tore nicht mehr geliefert. Trotzdem führte man in diesem Bunker noch intensive Wartungs- und Umbauarbeiten an Strahlflugzeugen durch. Hallen und Gebäude in Lärz überstanden beide amerikanischen Tagesangriffe nahezu unbeschadet und wurden teilweise nach Kriegsende gesprengt. Der unfertige Bunker wurde mittels mehrerer Gefechtsköpfe von Mistelgespannen versucht zu sprengen, von denen nach Kriegsende einige in Rechlin und Lärz zurückgeblieben waren. Es konnte aber nur die Bunkerdecke zum Einsturz gebracht werden. In diesem Zustand steht der Bunker noch heute.
Das Rollfeld Roggentin galt zwar nicht als eigenständiger Flugplatz, auch wenn es als Einsatz- und Ausweichhafen im Mobilmachungsfall geführt wurde. Das Gelände schloss sich unmittelbar am Nordostrand des Flugplatzes Rechlin an und war durch die Ringstraße und –bahn von diesem getrennt und war eine willkommene Erweiterung der Startbahnlänge in Richtung Müritz. Seinen Namen erhielt die Rollbahn vom nahe gelegenen Gut Roggentin. Außer der angeschlossenen unterirdischen Ringtankanlage gab es zunächst kaum Gebäude im Umfeld des Rollfeldes. Später wurde die bereits im Jahr 1929 errichtete und später wieder demontierte Junkershalle hier wieder aufgebaut. Durch seine Abgeschiedenheit zum Haupterprobungsfeld konnten hier ab 1943 die Erprobungen der neuen Strahl- und Turbinentriebwerke aufgenommen werden. Hilfereich war das Rollfeld Roggentin außerdem nach dem ersten Bombenangriff auf die E-Stelle, da der Platz Rechlin für einige Zeit unbrauchbar geworden war und der Flugbetrieb über das Rollfeld Roggentin abgewickelt wurde. Außer wenigen Resten erinnert heute nichts mehr an die einstige Nutzung des Geländes.
Mit dem am 10. April 1945 geführten Großangriff der USA Airforce auf Düsenjägerplätze Norddeutschlands wurde auch Rechlin und Lärz erneut zum Angriffsziel von 275 Bombern. Damit war die Arbeitsfähigkeit der E-Stelle Rechlin erloschen. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Rechlin begannen die Besatzer mit der Demontage der noch vorhandenen bzw. brauchbaren Einrichtungen des Flugplatzes bis hin zu den Gebäuden und Abtransport in die Sowjetunion. Nichts sollte mehr von der ehemals größten Erprobungsstelle der Deutschen Luftwaffe Zeugnis ablegen.
Dipl.-Ing (FH) Christoph Regel: Die deutsche Luftfahrt - Flugerprobungsstellen bis 1945, Bernard & Graefe, 1998
April bis Oktober | |
täglich | 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr |
Ostern | |
Fr bis Mo | 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr |
Februar bis März | |
täglich | 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr |
Letzter Einlass jeweils 60 Minuten vor Schließung. Gruppenführungen führen wir nach Anmeldung durch. Hunde dürfen ins Museum. |
Erwachsene (ab 16) | 12,- € |
Kinder (ab 6 – 16 Jahren) | 6,- € |
Familienticket (2 Erwachsene, bis zu 5 Kindern) | 30,- € |
Ermäßigte (Schwerbehinderung) | 10,- € |
Hund | 2,- € |
Gruppenticket (ab 10 Personen) | |
Erwachsener | 11,- € |
Führung | 50,- € |
Flugerprobungen in Rechlin
Kurz nach der Eröffnung der Flieger-Versuchs- und Lehranstalt fanden schon im Oktober 1918 die ersten Vergleichsflüge mit der Fokker D VII Prototyp V11 in Rechlin statt. Seit Ende der zwanziger Jahre stieg der Umfang der Erprobungstätigkeit in Rechlin ständig an. 1932 waren die Anforderungen an unterschiedliche Flugzeugtypen festgeschrieben. Dazu zählten u.a. mittlere Kampfflugzeuge, Fernaufklärer, Jagdeinsitzer, leichte Sturzkampfflugzeuge, Nahaufklärer, Schulflugzeuge und nicht zuletzt schwere Langstreckenbomber. Erste diesbezügliche Entwicklungen kamen zwischen 1934 und 1935 zur Erprobung. Bis dahin wurden bekannte Flugzeugtypen in neuen Rüstzuständen und mit verbesserten Motoren getestet. Erprobt wurden u.a. auch die Junkers F13 und Ju-52 in Landebefeuerung und Leistungsmessungen.
Der Letzte Flug der Do-335
Die Dornier Do 335 war ein von Dornier hergestelltes deutsches Kampfflugzeug des Zweiten Weltkriegs. Ungewöhnlich für den deutschen Flugzeugbau war die Anordnung mit jeweils einem Motor vorne und hinten, was die Maschine mit 775km/h zum schnellsten kolbengetriebenen Flugzeug zum Zeitpunkt des Erstfluges machte. Obwohl dieser schon im Oktober 1943 stattfand, kam das Muster kriegsbedingt nicht mehr zu einem Kampfeinsatz. 1944 und 1945 entstanden nur wenige Serienmaschinen in verschiedenen Versionen als Jäger, Jagdbomber und Aufklärer. Aufgrund der langen Entwicklungszeit und der schlechten Kriegslage war eine Massenproduktion nicht mehr möglich. Die letzte heute noch existierende Do 335 mit dem Stammkennzeichen VG+PH (Werknummer 240102) wurde kurz vor der Besetzung der Erprobungsstelle Rechlin vom damaligen Rechliner Testpiloten Hans-Werner Lerche (1914-1994) am 20.April 1945 nach Oberpfaffenhofen überführt, von wo sie ihren Weg im Rahmen der Operation "Seahorse" in die USA antrat. Private Initiativen und die Unterstützung der Lufthansa ermöglichten 1974 die Rückkehr aus den USA nach Deutschland, die Restaurierung bei Dornier in Oberpfaffenhofen sowie die Ausstellung der fertigen Maschine 1976 auf der Luftfahrtschau in Hannover und danach bis 1986 den Verbleib als Leihgabe im Deutschen Museum in München. Heute ist sie öffentlich im Steven-F.-Udvar-Hazy-Center in der Nähe des Washingtoner Dulles-International-Airport in den USA zu besichtigen.
Lesen Sie die Geschichte ihres letztes Fluges, den Hans-Werner Lerche in einem Interview in der Flieger-Revue (05/1976) schilderte.