Heute vor 75 Jahren

Der letzte Flug der Do 335 mit Hans-Werner Lerche

Hans-Werner Lerche: Mein letzter Flug mit der Do 335

Es war Mitte April 1945 in der Erprobungsstelle der Luftwaffe Rechlin an der Müritz in Mecklenburg. Deutsche Flugzeuge waren immer seltener am Himmel zu sehen. Trotz Kraftstoffmangels hatte ich im Rahmen der Beuteflugzeuge-Erprobung mit Sonderdringlichkeit noch einige Flüge mit dem englischen Jäger „Tempest'“ und der russischen „La 5" und „Jak 3" durchzuführen. Die Anweisung, deutsche Erprobungsflugzeuge nach Möglichkeit von Rechlin zu den Herstellerwerken zu überführen, und die Schnelligkeit der Do 335 bestärkten mich in dem Entschluss, eine der beiden noch in Rechlin stehenden Do 335 nach Oberpfaffenhofen bei München zu überführen. Zusätzlich zogen mich zarte Bande in diese Gegend - meine zukünftige Frau lebte dort. Den ersten Startversuch musste ich abbrechen. Als ich zum Start rollen wollte, bekam das Flugzeug einen „Plattfuß". Die Ursache war wahrscheinlich einer der zahlreichen Bombensplitter auf dem Platz. Eine Reifenreparatur war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich. So überließ ich die Do 335 (VG +PI, Werknr. 103) ihrem Schicksal und bereitete die zweite noch vorhandene Do 335 (VG+PH, Werknr. 102) für die Überführung vor.

Erst am Abend des 20. April 1945 kam ich wegen der dauernden Luftangriffe zum Start. In der Nacht vorher hatte ich noch von Radio London gehört, dass die Einschließung Berlins durch russische Truppen im Osten und Nordosten rasch voranging. So hatte ich vor, im Südwesten an Berlin vorbeizufliegen. Um möglichst nicht von fremden Jägern und der Flak behelligt zu werden, entschloss ich mich zum Tiefstflug. Dass dabei die Orientierung mit einem so schnellen Flugzeug wie die Do 335 bei ca. 550 km/h im Drosselflug nicht einfach sein würde, war mir klar. Aber wozu gab es Eisen- und Autobahnen, die ich in meine Flugvorbereitungen einkalkulieren konnte?

Meine Maschine war nicht munitioniert, ich hatte auch keine Schießerfahrung und war nicht über die funktechnischen und navigatorischen Möglichkeiten dieses Flugzeuges informiert. Blindanflüge war ich nur mit Funker gewöhnt. Es war zu dieser Zeit ohnehin fraglich, ob die Bodenorganisation noch intakt war, und ob man nicht durch Funkverkehr erst Feindjäger auf sich aufmerksam machte. Meine geringe Habe hatte ich noch über den Bombenklappen verstaut. Nun war es so weit. Der Start verlief einwandfrei, Fahrwerk einfahren, Drosseln der Motoren, Luftschraubenverstellung, Klappeneinfahren, Austrimmen der Maschine hatte ich schnell hinter mir, die Motoren liefen beruhigend gleichmäßig. Auch die Anzeige-Instrumente hatten die vorgeschriebenen Werte. Die ersten Seen und Wälder um Rechlin, die ich natürlich von unzähligen Flügen - auch mit Segelflugzeugen - bestens kannte, boten mir eine zuverlässige Orientierung; auf jeden Fall sicherer als die Kompassanzeige, die zu meiner Überraschung in eine andere Richtung wies, als ich wirklich flog. Der Grund für diese Unstimmigkeit wurde mir erst später klar. Normalerweise ist nämlich der Mutterkompass im Flugzeug im hinteren Rumpf, also möglichst weit entfernt von den Triebwerken untergebracht, da diese die Anzeige stören. Aber an dieser Stelle saß in der Do 335 der zweite Motor, der die Druckschraube hinter dem Leitwerk über eine ca. drei Meter lange Welle antrieb. Deshalb wanderte der Mutterkompass bei der Do 335 in die linke Tragfläche, wo er aber durch zusätzliche Beschleunigungen abgefälscht wurde und entgegen seiner Bestimmung, zum Nachteil des Piloten, sein Eigenleben führte. Diese Eigenwilligkeit des Kompasses brachte einem anderen Piloten einer Do 335 eine Landung im Feindgebiet mit lang andauernder Gefangenschaft ein, wie ich erst lange Zeit später erfuhr. Ich kam schnell voran. Bald tauchten die Funktürme von Nauen seitlich über mir auf. Der Kurs stimmte also. Berlin war auch nicht zu übersehen. Jetzt fiel mir erst auf, daß es schon dämmerte. Der Start in Rechlin hatte sich doch hinausgezögert. Da meine Do nicht voll betankt war, schaltete ich probe- und sicherheitshalber die Umpumpanlage ein, die Kraftstoff aus den Flächenbehältern in den Entnahmebehälter im Rumpf umpumpen soll. Die 3600 PS suppten immerhin an die 900 Liter Sprit in der Stunde.

Nach kurzer Zeit musste ich aber leider feststellen, dass die Pumpen nicht arbeiteten. Diese Tatsache und die zunehmende Dämmerung machten mir rasch klar, dass es unmöglich war, in einem Streifen nach Lager-Lechfeld südlich Augsburg zu fliegen. Dort befand sich jetzt der K. d. E. (Kommandeur der Erprobungsstellen), dem ich noch wichtige Dokumente zu überbringen hatte. Kurzentschlossen flog ich Richtung Prag, wo ich den großen Flugplatz Rusin kannte. Dort hatte ich mit einer erbeuteten „Flying Fortress" (B 17) Einweisungsflüge für deutsche Jagdgruppen durchgeführt. Südwestlich von Berlin huschten Beelitz-Heilstätten unter mir weg und schon flog ich am südlichen Autobahnring entlang. Die Abzweigung nach Dresden durfte ich auf keinen Fall verfehlen - und da war sie schon. Plötzlich sah ich - immer im Tiefstflug - an der Autobahn Gestalten, die sich vor meinem mit ca. 150 Metern in der Sekunde über sie hinbrausenden Flugzeug in Sicherheit zu bringen suchten. Das waren klar erkennbar schon Russen neben ihren Fahrzeugen. Bei dieser Geschwindigkeit und Bodennähe ist man zwar auch für die leichte Flak kein einfaches Ziel, aber ich sagte mir: „Wozu sitze ich auf einem so schnellen Bock" und legte noch einige Briketts zu.

Nun hatte ich wieder etwas Zeit - die Autobahn war nicht zu übersehen - nur die Dämmerung nahm zu. Ich schaltete die Positionslichter lieber nicht ein. Kurz darauf brauste ich an Dresden vorbei, verließ die Autobahn und nach kurzer Frist tauchte das beleuchtete Prag vor mir auf. Ich fand auch sofort den Platz, der schon nachtbefeuert war. Also Fahrwerk raus und schnell herunter! Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Das Fahrwerk ließ sich nicht ausfahren. Gottlob gab es ja noch die Notausfahr-Vorrichtung. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass man die Bedienungsanleitung eines Flugzeuges im Kopf hat. Meines Wissens wurden erstmals die Piloten auf die Ju 88 so eingewiesen, dass sie auch mit verbundenen Augen alle Bediengriffe beherrschten. Schwierig war es natürlich, wenn man so wie ich täglich andere und oft unbekannte Flugzeuge flog, wie es meine Aufgabe bei der Erprobung der anfallenden Beutemaschinen war. Ich schwor mir diese Sorgfalt auch erst, nachdem ich bei dem ersten Flug mit einer Airacobra in 13 bangen Platzrunden erkundet hatte, wie das Fahrwerk (mit Bugrad) notauszufahren war.Die Kurbel dazu ertastete ich schließlich unter dem Führersitz. Gerade ein Bugrad-Flugzeug hat hinsichtlich des Ausfahrens und Verriegelns, insbesondere des Bugrades, seine Gefahren. Ist nämlich das Hauptfahrwerk ausgefahren, das Bugrad aber nicht oder nicht verriegelt, sind die Folgen unangenehmer als bei einer „normalen" Bauchlandung. Eine Bauchlandung mit der Do 335 hätte aber ihre besonderen Tücken gehabt, da das nach unten stehende Seitenleitwerk keine normale Bauchlandung zugelassen hätte, sondern eine Schaufel bzw. Maulwurfeffekt mit dem vorderen Motor ergeben hätte. Das sind bei einer Aufsetzgeschwindigkeit von ca. 200 km/h schlechte Chancen - doch für diesen Fall war bei der Do 335 das untere Seitenleitwerk absprengbar. Trotzdem war ich froh, dass ich diese Finessen einschließlich des Schleudersitzes meiner Do nicht ausprobieren musste, denn ich hatte inzwischen im Dunkeln den Griff für das Notausfahren mit Pressluft gefunden. Die typischen leichten Schläge, die das Einrasten der Fahrwerkbeine im Flug anzeigen, und das Aufleuchten der drei grünen Lämpchen am Armaturenbrett zeigten mir, dass nun einer glatten Landung auf der befeuerten, langen Landebahn nichts mehr im Wege stand.

Es war inzwischen immerhin 20:20 Uhr und stockdunkle Nacht. Mein nächster Gedanke galt dem Betanken der Maschine. Ich wollte schließlich am nächsten Morgen sofort weiter. Trotz meines dringlichen Flugauftrages bekam ich zu hören, dass der begehrte, hochoktanige Sprit nicht verfügbar sei. Nun, ich will es kurz machen: Nach einigem Hin und Her wechselten einige Schachteln Zigaretten den Besitzer und der kostbare Saft begann in die Tanks meiner Do zu sprudeln. Nun waren sie voll „bis zum Stehkragen". Ich wollte mich nicht noch einmal auf die elektrische Umpumpanlage verlassen.Jetzt machte mir nur noch das nur widerwillig funktionierende Fahrwerk Sorgen. Es gelang mir schließlich, einen Monteur in der Werft für mein Problem zu interessieren - noch heute meinen Dank an diesen freundlichen Helfer. Nachdem ich etwas gegessen hatte, trafen wir uns in der Werft, bockten die Do auf und fuhren das Fahrwerk ein. Das Fahrwerk-Ausfahren hatte wegen eines geringfügigen, leicht zu behebenden Fehlers nicht funktioniert. Vielleicht war auch die Wartung der Maschinen in den letzten Kriegswochen nicht mehr so vollkommen gewesen. Bald stand meine Do wieder auf den Beinen.

Die „Wetterfrösche" machten mir wenig Hoffnung für den Weiterflug am nächsten Morgen. So ging ich halt schlafen. In der Frühe war QBI (Schlechtwettervorschriften in Kraft). An diesem Tag war wirklich an Fliegen nicht zu denken. Tiefe Wolken und strömender Regen machten den Weiterflug unmöglich. „Die Spatzen gingen zu Fuß", wie es in der Fliegersprache heißt. So blieb ich also. Ich musste schließlich mit dem schnellen Vogel meinen Weg durch ein Tal des Bayrischen Waldes finden. In diesen Tagen war es in Prag bereits recht unruhig - Wehrmachtsstäbe und Truppen zogen durch. Ich wollte möglichst bald weiter. Aber auch am nächsten Tag war ein Start nicht möglich. Obwohl auch für den dritten Tag die Voraussage nicht günstig war, war ich fest entschlossen, den Weiterflug zu wagen. Immerhin sollte wenigstens das Wetter in Süddeutschland besser sein - sagte die Wetterwarte. Ich stand früh gegen vier Uhr auf, um mit dem ersten Büchsenlicht zu starten. Es regnete immer noch, aber die Wolken waren etwas höher. Inzwischen war es der 23. April 1945 geworden. Alle Startvorbereitungen verliefen planmäßig, der Start machte keine Schwierigkeiten. Zunächst flog ich etwas höher, um mich - auch ohne Kompass und Ortskenntnis - orientieren zu können. Wer sollte mir auch in dieser Herrgottsfrühe und bei diesem schlechten Wetter nach dem Leben trachten? Ich flog „Frei-Schnauze" und mit Gottvertrauen, fand auch unter den Wolken im Bayrischen Wald ein freies Tal - ich weiß heute nicht mehr welches - und dachte, den schwierigsten Teil des Fluges hinter mir zu haben. Auch das Wetter besserte sich. Plötzlich überholten mich rechts und links vom Rumpf Leuchtspurgeschosse. Mir war und ist heute noch nicht klar, ob dieser Segen vom Boden oder von feindlichen Jagdflugzeugen kam. Unwillkürlich machte ich heftige Ausweichbewegungen, schob alle Gase hinein und ging wieder auf Tiefstflug, also fast in Baumhöhe. Als ich mich von meinem Schrecken etwas erholt hatte, drosselte ich die Motoren wieder und begann nach den Instrumenten, insbesondere den Temperaturen des hinteren Motors, zu sehen. Denn bei einem Treffer im Öl- oder Kühlkreislauf hätte der Motor nach etwa 30 Sekunden seinen Geist aufgegeben. Bei intakten Motoren bestand keine Gefahr, dass mich ein fremder Jäger einholen konnte. Wahrscheinlich stammte der Gruß von amerikanischen Truppen, die bereits über Nürnberg hinaus vorgedrungen waren. Inzwischen steuerte ich Südkurs, überflog die Donau, und das allmählich bei guter Sicht auftauchende Alpenpanorama ermöglichte mir noch vor München die Orientierung, und so flog ich am Bahnhof Pasing in Mastenhöhe vorbei auf Westkurs. Hoch über mir erschienen inzwischen die Kondensstreifen der Kameraden von der anderen Seite. Die Eisenbahn war schon immer ein ideales Orientierungsmittel für Flieger. Getreu dem alten Fliegerspruch „linkes Rad - rechte Schiene" musste ich nur noch aufpassen, daß die Weichen hinter Pasing richtig gestellt waren. Den Flugplatz Fürstenfeldbruck mied ich - dort scheute ich nicht nur feindliche Jäger, sondern auch die deutsche Flak. Zum Flugplatz Lager-Lechfeld zu finden, war nun kein Problem mehr. Eine enge Platzrunde, das Fahrgestell kam auf Anhieb heraus, und die Erde hatte mich wieder. Ich rollte die Maschine in die Nähe der Flugleitung, dort sagte man mir, es sei schon wieder Fliegeralarm und die Aussichten, meine Do unbeschädigt wiederzusehen, seien gleich Null. Zu einem Platzwechsel war keine Zeit mehr, denn Bomber und Tiefflieger waren schon im Anflug zu hören und zu sehen. Ein Graben bot mir kümmerliche Deckung. An diesem Tag wurden auf diesem Platz 16 gut getarnte Maschinen um den Platz herum zerstört. Ein nahegelegenes Munitionslager (Schwabstadel) flog samt einem kleinen Wäldchen vor meinen Augen buchstäblich in die Luft. Doch meiner - sozusagen auf dem Präsentierteller - abgestellten Do passierte nichts! Sicher hielt man sie für eine Attrappe - diesen ungewöhnlichen Vogel. Ich erledigte, so gut es ging, meine Aufträge, holte mir einen neuen Marschbefehl gen Süden und setzte mich gegen Abend und nach Abklingen der Angriffe in meine unversehrte Maschine, um noch den letzten Sprung nach Oberpfaffenhofen, dem Dornier-Flugplatz, durchzuführen. Das Fahrwerk ließ ich gleich draußen - man kann nie wissen! Der Start verlief einwandfrei - es sollte mein letzter sein - und wenige Minuten später landete ich das kostbare Flugzeug wohlbehalten in Oberpfaffenhofen und stellte es den erstaunten Dornier-Leuten vor die Halle.

Dass ich dieses einmalige Flugzeug - und zwar dieselbe VG+PH - dreißig Jahre später bei Dornier auf demselben Platz wiedersehen würde, wo sie für das Deutsche Museum hergerichtet wurde, konnte ich damals nicht ahnen. Die kleinen geschilderten Anfangsschwierigkeiten, die bei keinem neuen Flugzeug zu vermeiden sind und die mir meinen letzten Flug würzten, habe ich der Do längst verziehen. Denn schließlich war sie ein außergewöhnliches Hochleistungsflugzeug mit ganz ausgezeichneten Flugeigenschaften, das mir ein einmaliges, fliegerisches Hochgefühl bescherte, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde.

Hans-Werner Lerche (FLUG REVUE 05/1976)

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